Scheinselbstständig? Ein unterschätztes Risiko für Arbeitgeber

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Schwierige Aufträge und besondere Projekte lieber an Freelancer abgeben? Das ist oft eine gute Option, um von den besonderen Kenntnissen und Fähigkeiten flexibler Auftragnehmer Nutzen zu machen. Tatsächlich birgt dieses Vorgehen jedoch eine meist unterschätzte Gefahr für viele Unternehmen: Die Scheinselbstständigkeit. Denn der Anteil der Fälle, in denen durch die DRV Scheinselbstständigkeit ermittelt wurde, hat sich seit 2007 verdoppelt, trotz eines Anstiegs von 35% an geprüften Fällen (Stand: 2019). Meist folgen hohe Nachzahlungen, die sowohl die Existenz des Auftraggebers als auch die des Auftragnehmers maßgeblich bedrohen können. 

Hier wollen wir klären, wie Scheinselbstständigkeit definiert wird, welche Kriterien eine Scheinselbstständigkeit ausmachen, wie die Prüfung des Vertragsverhältnisses abläuft und welche Konsequenzen Auftraggeber und Auftragnehmer im schlimmsten Fall erwarten - damit du auf der sicheren Seite verbleiben kannst! 

Definition: Was ist überhaupt Scheinselbstständigkeit? 

Um Scheinselbstständigkeit wirklich zu verstehen, sollten zuerst grundlegende Begriffe wie Arbeitnehmer, Freelancer oder Arbeitsverhältnis definiert werden.

Arbeitnehmer: Ein Arbeitnehmer ist im Dienste eines anderen zur Leistung weisungsgebundener, fremdbestimmter Arbeit in persönlicher Abhängigkeit verpflichtet. Hierbei kann die Weisung sich auf Inhalt, Durchführung, Zeit und Ort der Tätigkeit beziehen. Weisungsgebunden ist, wer nicht im Wesentlichen frei seine Tätigkeit gestalten und seine Arbeitszeit bestimmen kann. Die Art der Tätigkeit gibt allerdings das tatsächliche Ausmaß der persönlichen Abhängigkeit vor. 

Freelancer: Ein Selbstständiger (auch Freelancer, freier Mitarbeiter) ist an erster Stelle jemand, der nicht fest angestellt arbeitet und seine Arbeitszeit frei bestimmen kann. Selbstständige sind nicht sozialversicherungspflichtig und haben kein regelmäßiges Einkommen, sondern verschiedene Auftraggeber. Sie handeln selbstbestimmt und eigenverantwortlich.

Arbeitsverhältnis: Ein Arbeitsverhältnis  ist ein personenbezogenes Dauerschuldverhältnis, zwischen zwei Parteien, dem Arbeitnehmer sowie dem Arbeitgeber und betrifft immer zwei Parteien, den Arbeitgeber und den Arbeitnehmer. In der Regel erfolgt die Begründung des Arbeitsverhältnisses durch die Unterzeichnung des Arbeitsvertrages. Allerdings kann dies auch mit dem Eintreten des Arbeitnehmers in das Unternehmen, z.B. durch die Aufnahme der Arbeit geschehen. In diesem Fall bestünde also auch ohne Vertrag ein Arbeitsverhältnis. 

Scheinselbstständigkeit bezieht sich auf ein Arbeitsverhältnis zwischen einem Auftraggeber und einem als vertraglich-definiert selbstständigen Auftragnehmer (Freelancer, Berater, freier Mitarbeiter), welches allerdings in der Praxis wie ein Beschäftigungsverhältnis zwischen Arbeitgeber und  Arbeitnehmer gelebt wird. Dadurch wäre der Auftragnehmer tatsächlich im Sin­ne von § 7 Abs.4 So­zi­al­ge­setz­buch Vier­tes Buch (SGB IV) ein versicherungspflichtiger Beschäftigter.

Zum Schein Freelancer, faktisch Arbeitnehmer!
Dies führt zu der Annahme, dass bewusst so gehandelt wird, um den Arbeitgeberanteil für Sozialabgaben einzusparen.

Welche Kriterien gibt es für den Bestand einer Scheinselbstständigkeit? 

Prinzipiell gibt es keine festen Kriterien, die eine Scheinselbstständigkeit bestätigen oder widerlegen. Vielmehr kommt es auf das Zusammentreffen verschiedener Umstände an, die andeuten, dass es sich nicht um einen selbstständig tätigen Auftragnehmer, sondern um einen abhängig beschäftigten Arbeitnehmer handelt. Hierbei spielen vor allem drei Elemente eine besondere Rolle.

Eine Scheinselbstständigkeit kann sich demnach durch eine Weisungsgebundenheit ausdrücken, das heißt, dass der Selbstständige von seinem Auftraggeber Weisungen zur Verrichtung seiner Arbeit erhält, denen er Folge zu leisten hat. Denn ein Selbstständiger profitiert als Unternehmer grundsätzlich von seiner Entscheidungsfreiheit. Eine Weisungsgebundenheit, die zum Beispiel vorliegt, wenn sich der Auftragnehmer an bestimmte Arbeitszeiten zu halten hat oder wenn der Arbeitsort des Auftragnehmers vorgegeben ist, würde eben dieser Entscheidungsfreiheit der Selbständigkeit widersprechen. 

Bei einer vermehrten betrieblichen Eingliederung sollte auch Vorsicht geboten sein, da ein selbstständiger Auftragnehmer klar als Externer gekennzeichnet und nicht als Teammitglied behandelt werden sollte.  So können das Nutzen von Arbeitsmitteln des Auftraggebers, wie Werkzeuge oder digitale Endgeräte, deutlich für eine Scheinselbstständigkeit sprechen. Ein klarer Fall ist zum Beispiel oft, wenn ein Arbeitnehmer beim alten Arbeitgeber nach Beenden des Arbeitsverhältnisses weiterhin als Selbstständiger tätig wird. Hier ergibt sich ein hohes Risiko der Scheinselbstständigkeit, wenn dieselbe Tätigkeit unter denselben Umständen ausgeführt wird wie im vorherigen Arbeitsverhältnis (gleicher Schreibtisch, gleiche E-Mail Adresse etc.). 

Eines der ausschlaggebenden Kriterien, welches für eine Scheinselbstständigkeit spricht, ist die persönliche und finanzielle Abhängigkeit des vermeintlich Selbstständigen gegenüber des Auftraggebers. Denn ein wesentliches Kennzeichen eines selbstständig Tätigen ist das eigene Tragen des unternehmerischen Risikos, da der finanzielle Erfolg ungewiss ist und nicht von anderen Parteien abhängt. Ein besonderes Risiko der Scheinselbstständigkeit besteht, wenn der Selbstständige über einen längeren Zeitraum hinweg nur für einen Auftraggeber tätig ist und somit den überwiegenden Anteil seines Umsatzes am selben Auftraggeber verdient. Damit ist er nicht finanziell unabhängig, so wie es der Status eines Selbstständigen vorsehen würde.

Wer klärt den Bestand einer Scheinselbständigkeit? Wie läuft das Verfahren ab?  

Spätestens im Rahmen einer Betriebsprüfung muss zu Dokumentationen Einsicht gewährt werden. Diese kann entweder durch das Finanzamt oder durch die Deutsche Rentenversicherung (DRV) durchgeführt werden, die mindestens einmal alle 4 Jahre prüft.  Das Finanzamt hingegen kontrolliert, meist in Form einer Außenprüfung, alle steuerlich relevanten Sachverhalte. 
Sollten also Zweifel bestehen, ob es sich bei der Freelancer-Beauftragung nicht doch um ein abhängiges Arbeitsverhältnis handelt, ist es ratsam eine Statusfeststellung durchzuführen. 

Doch wer führt diese durch und wie läuft das Verfahren ab?
Beide Vertragspartner können bei der Deutschen Rentenversicherung eine Statusfeststellung beantragen um nach § 7a Abs. 1 Satz 1 SGB IV Rechtssicherheit über eine selbstständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung zu erlangen, ohne dass die Zustimmung der jeweils anderen Partei nötig ist. Demnach genügt es, wenn nur eine Partei den Antrag stellt. Allerdings, wird der Antrag nur bearbeitet, wenn bisher kein anderes Verfahren zur Prüfung der Versicherungspflicht eingeleitet wurde (z.B durch einen Rentenversicherungsträger im Rahmen einer Betriebsprüfung). 

Unser Tipp: Es ist es ratsam den Antrag so früh wie möglich oder innerhalb eines Monats zu stellen, da die Versicherungspflicht bei einem rechtzeitigen Anfrageverfahren erst mit der Bekanntgabe der Entscheidung der DRV über das Vorliegen eines versicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnisses eintritt. So kannst du im Falle einer Feststellung von Scheinselbstständigkeit Nachzahlungen von Sozialversicherungsbeiträgen minimieren.  

Für den Antrag zur Statusfeststellung ist die Schriftform erforderlich. Einerseits werden die vertraglichen Vereinbarungen der Tätigkeit geprüft, andererseits müssen weitere Details zu der Art wie die Tätigkeit in der Praxis ausgeführt wird, hinterlegt werden. Das Antragsformular, sowie Erläuterungen hierzu und diverse nötige Anlagen findest du hier. Nachdem die schriftlichen Ermittlungen beendet worden sind, müssen alle Beteiligten durch die DRV angehört werden, bevor schließlich ein endgültiger Bescheid erlassen werden kann. Die durchschnittliche Bearbeitungszeit liegt bei 80 Tagen. 

Beachte dabei: Es spielt keine Rolle, wie der Vertrag betitelt ist oder was darin geregelt wird, wenn nachgewiesen werden kann, dass das Verhältnis in Wirklichkeit einer sozialversicherungsrechtlichen Beschäftigung gleicht.
Natürlich ist es ratsam den Freelancervertrag rechtssicher auszugestalten und die oben genannten Kriterien während der Beauftragung zu beachten. 

Wo liegen die Risiken der Scheinselbstständigkeit? 

Folgen für den Auftragnehmer  


Sollte bei einem Statusfeststellungsverfahren eine Scheinselbstständigkeit bestätigt werden,  muss nicht nur der Auftraggeber tief in die Tasche greifen, auch der Auftragnehmer hat existenzbedrohende Konsequenzen zu erwarten.
Ab dem Zeitpunkt der festgestellten Scheinselbstständigkeit gilt der Auftragnehmer als sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer, welchem alle üblichen Arbeitnehmerrechte zugesprochen werden. Das heißt es besteht Anspruch auf bezahlten Erholungsurlaub von mindestens 4 Wochen im Jahr, auf Entgeltfortzahlungen und Kündigungsschutz gemäß dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG). Im Zweifelsfall können diese Rechte durch den Arbeitnehmer eingeklagt werden. Klare Vorteile bis jetzt: Aber andererseits gehen mit dem Arbeitsverhältnis für den “frisch gebackenen” Arbeitnehmer (vormals Freelancer) auch Arbeitnehmer-Pflichten einher. Im Klartext bedeutet dies die Zahlung nicht geleisteter Sozialversicherungsbeiträge. Obwohl der Arbeitgeber auch für den Arbeitnehmeranteil aufkommen muss, kann dieser durch Abzug vom Arbeitsentgelt (von bis zu 3 Lohn- oder Gehaltszahlungen) geltend gemacht werden. 

Zudem werden Selbstständige oft höher vergütet, da sie im Gegensatz zu Arbeitnehmern Versicherungsbeiträge und ihr unternehmerisches Risiko vollständig selbst zu tragen haben und nur für getätigte Arbeitsstunden bezahlt werden. Sollte die er­hal­te­ne Vergütung höher sein als der übli­che Ar­beits­lohn von Ar­beit­neh­mern mit ver­gleich­ba­ren Auf­ga­ben, muss der Schein­selbständi­ge die Dif­fe­renz zwi­schen der er­hal­te­nen Vergütung und dem übli­chen Ar­beits­lohn ver­gleich­ba­rer Ar­beit­neh­mer er­stat­ten. Dies wird besonders teuer, wenn der Stundenlohn des vermeintlich Selbstständigen deutlich höher ausfällt als der des Arbeitnehmers. 

Folgen für den Auftraggeber 


Da für den Auftraggeber nun alle Haftungs- und Zahlungsverpflichtungen gelten wie für Arbeitgeber im Verhältnis zu ihren abhängig beschäftigte Arbeitnehmer, müssen rückwirkend für bis zu vier Jahre Nachzahlungen der Sozialversicherungsbeiträge getätigt werden. Zusätzlich werden Säumniszuschläge berechnet, sollte der Antrag zur Statusfeststellung nicht innerhalb eines Monats erfolgen. Vielmehr hat der Arbeitgeber gegenüber dem Arbeitnehmer ei­nen An­spruch auf den hälf­tig von ihm auf­zu­brin­gen­den Ar­beit­neh­mer­an­teil, welcher jedoch nur durch Abzug vom Arbeitsentgelt von bis zu 3 Monaten Lohn-Gehaltszahlungen gemacht werden kann. Sollte das Arbeitsverhältnis nicht mehr bestehen, muss der Arbeitgeber selbst für den zweiten Anteil aufkommen. Ansonsten kann der Abzug nur auch nach 3 geleisteten Lohn-und Gehaltszahlungen gemacht werden, wenn der Ab­zug oh­ne Ver­schul­den des Ar­beit­ge­bers ausgefallen ist. In den meisten Fällen liegt allerdings natürlich ein Mitverschulden des Arbeitgebers vor.

Ein Ar­beit­ge­ber ist dem Fi­nanz­amt ge­genüber ge­setz­lich da­zu ver­pflich­tet, die auf den Ar­beits­lohn ent­fal­len­de Lohn­steu­er an das Finanzamt zu leisten. 
Deshalb kann das Finanzamt bei Feststellung einer Scheinselbstständigkeit Lohnsteuernachzahlungen einfordern, die rückwirkend bis zu vier Jahre erhoben werden können. Sollte auch eine leichtfertige Steuerverkürzung (d.h. eine Ordnungswidrigkeit) ermittelt werden, kann sich die Frist für die Rückzahlungen auf fünf Jahre verlängern

Als Arbeitnehmer darf der vermeintlich Selbstständige für seine Arbeitsleistungen keine Umsatzsteuer verlangen, da er im Sinne des UstG kein Unternehmer ist. Deshalb hätte der Arbeitgeber theoretisch durchaus einen Anspruch auf Rückzahlung. Da der Auftraggeber als Unternehmer aber von sei­ner ei­ge­nen Um­satz­steu­er­schuld gegenüber dem Finanzamt die von dem Arbeitnehmer damals als Freelancer in Rech­nung ge­stell­te Um­satz­steu­er (sog. Vor­steu­er) ab­ge­zo­gen hat, entfällt dieser Anspruch. Somit hätte der Arbeitgeber dem Finanzamt bei Scheinselbstständigkeit eigentlich mehr Umsatzsteuer zahlen müssen, weswegen der Vorsteuerabzug berichtigt und zurückgezahlt werden muss. 
Doch wer denkt, dass sich die Konsequenzen der Scheinselbstständigkeit auf finanzielle Leistungen beschränken, der irrt. 

Denn bei Vorsatz des Arbeitgebers liegt zusätzlich eine Steuerhinterziehung vor, die nicht nur die Verjährungsfrist nochmals auf zehn Jahre verlängert, sondern auch Bußgelder, Gefängnisstrafen und Rückzahlungsforderungen bis zur Verjährung der Straftat mit sich ziehen kann. Abgesehen davon, macht sich straf­bar, wer als Ar­beit­ge­ber der Kran­ken­kas­se Beiträge des Ar­beit­neh­mers zur So­zi­al­ver­si­che­rung „vor­enthält“. Arbeitgebervertreter (also Geschäftsführer) können somit sogar für die un­ter­blie­be­ne Abführung des Ar­beit­neh­mer­an­teils am So­zi­al­bei­trag persönlich haften. Bei Schuldspruch muss der Arbeitgebervertreter mit hohen Geldstrafen oder einer Freiheitsstrafe von bis zu 5 Jahren rechnen. 

Da bei Feststellung der Scheinselbstständigkeit der vermeintlich Selbstständige als Arbeitnehmer gilt, hat dieser Anspruch auf sämtlich Rechte, die Arbeitnehmern zustehen: Urlaubsanspruch, Entgeltfortzahlung bei Krankheit und Kündigungsschutz. Sollten diese Umstände in Folge der Statusfeststellung nicht einvernehmlich geklärt werden, droht dem Arbeitgeber eine Klage und die damit verbundenen Prozesskosten. 

Zwar bringt die Zusammenarbeit mit Freelancern und Solopreneuren (Selbstständigen) viele Vorteile mit sich, da sie dem Auftraggeber die nötige Flexibilität und spezialisiertes Expertenwissen bei besonderen Projekten bietet. Doch ist dies wirklich die ernstzunehmende Gefahr der Scheinselbstständigkeit wert?  Denn vermeintlich rechtssichere vertragliche Bedingungen können trügen, da letztendlich die gelebte Realität entscheidet, wer wirklich selbstständig tätig ist oder dies nur zum Schein vorgibt. Bei der Anfertigung von Freelancer-Verträgen und der betrieblichen Behandlung dieser ist immer Vorsicht und Konsequenz nötig. Nur so kannst du dauerhaft der Scheinselbstständigkeit vorbeugen. 

Bonustipp: Keine Sorge, wenn du dir trotzdem die Frage stellst, welche Faktoren in deinem Unternehmen dich in die Gefahr der Scheinselbstständigkeit bringen. Unser praktischer Freelancer Check gibt schnell und einfach eine erste Indikation zu deinem Risiko und versorgt dich mit Best Practices und Empfehlungen wie du dieses langfristig minimieren kannst. Mehr Informationen findest du hier.