Krankmeldung nach Kündigung: Und nun?

Liz ist Head of Legal bei twinwin.
Als Expertin für Arbeitsrecht gibt Liz gerne wertvolles juristisches Wissen an Personalverantwortliche weiter, damit diese kostspielige rechtliche Fehler vermeiden können. Ihre Mission bei twinwin ist es, das Arbeitsrecht für die Personalabteilung einfach zu machen.


„So, ich kündige und außerdem bin ich ab heute erstmal krank“ 

Vermutlich nahezu jeder Arbeitgeber kennt diesen Klassiker: ein Mitarbeiter kündigt/wird gekündigt und reicht zeitgleich eine Krankmeldung ein, und zwar bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. In solchen Fällen stellt sich häufig die Frage, welcher Beweiswert einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) in Bezug auf die Lohnfortzahlung zukommt. Unter welchen Umständen darf der Arbeitgeber diese anzweifeln oder ist die AU unerschütterlich? Macht es einen Unterschied, zu welchem Zeitpunkt die Kündigung eingereicht wurde?

Was genau ist eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?


Eine AU (physisch oder nunmehr auch elektronisch seit Januar 2023) ist das grundsätzlich gesetzlich vorgesehene Mittel zum Nachweis einer Arbeitsunfähigkeit und sichert Arbeitnehmern die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Kurz gesagt, es beweist: der Arbeitnehmer ist krank und kriegt weiter seinen Lohn.

Nach § 3 Entgeltfortzahlungsgesetz (EFZG) hat ein Arbeitnehmer einen Entgeltfortzahlungsanspruch für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, wenn er infolge einer Erkrankung nicht in der Lage ist, seine Arbeit auszuüben. 

Grundsätzlich ist der Arbeitnehmer gemäß  § 5 Abs. 1 EFZG verpflichtet, dem Arbeitgeber die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer unverzüglich mitzuteilen.

Mit der Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (eAU), ist der gesetzlich versicherte Arbeitnehmer nicht mehr verpflichtet, beim Arbeitgeber eine AU einzureichen. 

An die Stelle der Nachweispflicht ist eine so genannte Feststellungspflicht getreten: Der Arbeitnehmer ist verpflichtet, das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit sowie deren voraussichtliche Dauer spätestens am vierten Tag der Erkrankung ärztlich feststellen zu lassen. Der Arzt übermittelt dann die AU an die Krankenkasse, über das entsprechende Portal kann diese wiederum vom Arbeitgeber eingesehen werden.

Erschütterung des Beweiswertes der AU?


Gerichte messen der ärztlichen Krankschreibung grundsätzlich eine hohen Beweiswert zu.
Doch unter welchen Umständen kann konkret der Beweiswert einer AU erschüttert werden?

Nicht unbedingt selten kommt es in der Praxis vor, dass den Arbeitgeber zeitgleich mit der Kündigung auch eine Krankschreibung bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses erreicht. In vielerlei Hinsicht ist diese Situation für den Arbeitgeber ärgerlich und bringt Nachteile mit sich. Er ist verpflichtet, Entgeltfortzahlung zu leisten (für bis zu 6 Wochen) und muss zudem auf die eigentlich weiterhin geschuldete Arbeitsleistung verzichten.

Dem Arbeitgeber können insbesondere dann Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers kommen, wenn die Dauer der Krankschreibung passgenau mit der Kündigungsfrist übereinstimmt.

Worum ging es konkret?
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hatte bereits eine derartige Konstellation in einem Urteil aus 2021 zu entscheiden (
Urt. v. 8.9.2021, Az. 5 AZR 149/21).


Die fristgerechte Kündigung des Arbeitsverhältnisses erfolgte seitens des Arbeitnehmers. Erschwerend kam hinzu, dass dieser gegenüber einem Kollegen zuvor erwähnte, nicht mehr zur Arbeit zu erscheinen. Der Arbeitgeber zweifelte die Erkrankung an und verweigerte die Entgeltfortzahlung. Dies stützte er zum einen auf die Ankündigung des Arbeitnehmers und zum anderen darauf, dass die AU passgenau die Dauer der Kündigungsfrist umfasse. Der Beweis erfolgte durch Vernehmung des behandelnden Arztes nach entsprechender Befreiung von der Schweigepflicht. Der klagende Arbeitnehmer seinerseits konnte im Prozess seiner Darlegungslast zum Bestehen einer Arbeitsunfähigkeit nicht hinreichend konkret nachkommen. 

Das BAG gab dem Arbeitgeber Recht: bereits die zeitliche Üb

ereinstimmung von Kündigung und Krankschreibung (sog. zeitliche Koinzidenz) könne ernsthafte Zweifel an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit begründen. Vorliegend gelang es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der AU zu erschüttern.

Einen ähnlich gelagerten Fall hatte auch jüngst das LAG Niedersachsen zu entscheiden, bei dem jedoch der zeitliche Ablauf der Geschehnisse genau umgekehrt gewesen war (Urt. v. 8.3.2023, Az.: 8 Sa 859/22). 

Ein Arbeitnehmer meldete sich mit einer AU krank. Am darauf folgenden Tag erhielt er eine Kündigung seitens des Arbeitgebers. Zwar legte der Arbeitnehmer anschließend zwei Folgebescheinigungen vor, die ihn genau bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses als krankgeschrieben auswiesen, doch der Arbeitgeber verweigerte die Lohnfortzahlung. Er zweifelte ebenfalls das Vorliegen einer Erkrankung an.

In diesem Sachverhalt entschied das Gericht zugunsten des Arbeitnehmers.


Das LAG griff die Kriterien des BAG zur Erschütterung des Beweiswerts von AU als richtig auf und ist der Auffassung, dass diese auch für den Fall der arbeitgeberseitigen Kündigung anzuwenden seien, wenn der Arbeitnehmer sich nach deren Erhalt arbeitsunfähig meldet.

Das Gericht hat hier aber eine wichtige Differenzierung getroffen: in diesem Fall war die erste Krankschreibung der Kündigung zeitlich vorausgegangen. Es fehle daher der notwendige Kausalzusammenhang zwischen Kündigung und Krankmeldung, der erforderlich wäre, um den Beweiswert der AU zu erschüttern. Kurz gesagt: die Krankmeldung sei nicht durch die Kündigung veranlasst gewesen. Nur alleine der Umstand, dass ein Arbeitnehmer vor dem Ende eines gekündigten Arbeitsverhältnisses bis zu dessen letztem Arbeitstag erkrankt, ist nicht ausreichend um den Beweiswert zu erschüttern.

Was bedeutet das in der Praxis?


Durch sein Urteil bestärkte das BAG Arbeitgeber darin, in vergleichbaren Fällen die Arbeitsunfähigkeit der Arbeitnehmer zu hinterfragen. Insbesondere wegen den eingeschränkten Erkenntnismöglichkeiten des Arbeitgebers (betreffend Krankheit und  Diagnose), ist es am Arbeitnehmer, diese weiter auszuführen und eventuell den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht zu entbinden.

Dennoch sollte immer Vorsicht geboten sein! Zwar können bei zeitlicher Überschneidung einer Kündigung und einer Krankschreibung ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers begründet werden. Der Beweiswert einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist eben nicht grenzenlos. 

Doch nur alleine die zeitliche Koinzidenz reicht für sich gesehen nicht aus.

Nicht vorschnell sollten Arbeitgeber in ähnlich gelagerten Fällen von einem erschütterten Beweiswert einer AU ausgehen. Um nachvollziehbare und ernsthafte Zweifel an der Arbeitsunfähigkeit zu begründen, sollten sie tatsächliche Umstände darlegen, die sich aus der Bescheinigung selbst als auch aus den Gesamtumständen ihrer Entstehung ergeben können. Zu denken ist beispielsweise an eine vorausgegangene Abmahnung. 

Das heisst: es kommt vielmehr auf die konkreten Umstände an. 

Aber Achtung: Die Entscheidung des LAG ist noch nicht rechtskräftig, denn das Verfahren ist beim BAG anhängig. Es bleibt spannend und daher erst mal abzuwarten, ob und inwieweit das BAG weitere Umstände benennen wird. Das letzte Wort ist also noch nicht gesprochen.

Unser Tipp: Das Thema Krankmeldungen in Zusammenhang mit Kündigungen ist ein sehr aktuelles und kommt in der Arbeitswelt häufiger vor. Daher überrascht es nicht, dass sich die Gerichte in jüngster Zeit immer wieder damit auseinandersetzen müssen. Vor allem, wenn ein Arbeitnehmer das Unternehmen unfreiwillig verlassen muss, besteht in der Regel Konfliktpotenzial. Umso wichtiger ist ein gut organisierter und reibungsloser Offboarding-Prozess für den Mitarbeitenden, welcher allen voran der Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten beitragen kann und ein wertschätzendes Klima erzeugt. Arbeitgeber und Arbeitnehmer sollten beim Offboarding-Gespräch im Guten auseinander gehen. 

Denn denkt dran: nicht nur der erste Eindruck zählt, sondern immer auch der letzte, der trotz der Umstände positiv bleiben sollte.

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